2011-07-01

Gebotene Wege aus der die Weltgesellschaft bedrohenden Finanzkrise

 Bild: vabene.at

 von Prof. Dipl.-Ing., Dr. iur. Heinrich Wohlmeyer
 
Die Verschuldung fast aller Staaten der Welt gegenüber wenigen Eignern von Grosskapitalien hat ein Ausmass erreicht, das ohne drastischen Schuldenverzicht der Gläubiger nicht zu tilgen ist.
Allein der Euro-Raum ist mit rund 6 Billionen – also 6000 Milliarden – Euro verschuldet. Die von den derzeit Finanzmächtigen eingeforderten Sparmassnahmen zu Lasten der ärmeren Schichten der Bevölkerung und der Verkauf von Gemeinwohl-orientierten öffentlichen Einrichtungen zu ihren Gunsten führen zu unerträglicher sozialer Verelendung.
Das Geld, das den Staaten anfangs geradezu aufgedrängt wurde, um später durch entsprechendes Rating die Zinsen zu erhöhen, wurde aus dem Nichts geschaffen (fiat-money). Es muss nun geordnet wieder ins Nichts zurückgeführt werden, um extreme soziale Verwerfungen mit unabsehbaren Folgen zu vermeiden.
Die aufgebaute Finanzblase beträgt derzeit ungefähr das Dreifache des Weltbruttoproduktes – also des Wertes aller Waren und Dienstleistungen.
Sie durch Schuldenverzicht geordnet implodieren zu lassen, ist ein Gebot der Stunde und die einzige Alternative zu sozialem Kahlschlag, grösstem Leid, Chaos und Bürgerkrieg oder Krieg. Kluge Grossspekulanten – wie George Soros – plädieren daher nunmehr bereits für massive Eingriffe, weil sie wissen, dass bei Überspannen des sozialen Bogens jene Wirtschaftsverfassung gefährdet ist, der sie ihren Reichtum verdanken und die ihnen diesen bisher sichert (Gefahr des gesellschaftlichen Umsturzes).
Die Kredite wurden von höchstbezahlten «Fachleuten» gewährt, und die verlangten Zinsen enthielten und enthalten eine Risikoprämie. Es wurde also von kompetenten Personen bewusst Risiko eingegangen. Dieses Risiko nun zu sozialisieren (d.h. der Allgemeinheit umzuhängen) und die Gewinne zu privatisieren widerspricht allen Regeln einer geordneten Wirtschaftsgestaltung und dem von den Akteuren immer beschworenen «Sanktionsmechanismus der Märkte».
Dass sich jene, die bisher die Politik am Nasenring herumgeführt haben, gekonnt wehren und mangels «Hilfe» den Weltuntergang ausrufen, ist zu erwarten gewesen. Schulden können aber nicht durch neue Schulden zu noch höheren Zinssätzen getilgt werden. Die nun aufgespannten «Rettungsschirme» setzen nur eine zusätzliche Schuldenschicht auf die bestehende.
Im Angesicht der bereits evidenten Verarmungen und Nöte sind vor allem die Christen aufgerufen, nicht – wie im Beispiel des barmherzigen Samariters – an den unschuldigen Opfern vorbeizugehen und wegzuschauen sowie alles den «Fachleuten» zu überlassen, sondern mutig die Dinge beim Namen zu nennen und Korrekturen einzufordern.
Derzeit findet eine evidente Plünderung der Ärmsten statt, während die Interessen weniger Kapitaleigner mit dem Gewaltmonopol der Staaten geschützt werden. Täglich werden neue Staatsschulden eingegangen, die in den «Schuldenuhren» im Internet einsehbar sind. Diese sind nicht mehr eintreibbar, weil die Zinslasten über den Wachstumsraten der Länder liegen und die auferlegten Sparmassnahmen noch dazu deflationär wirken – die Schuldenspirale läuft.
Die «Noch-Leitwährung», der US-Dollar, die in Wirklichkeit von einem Grossbankenkartell mit Nationalbankprivilegien gestaltet und benützt wird (FED), «ruht» auf einer US-Staatsschuld von 14 Billionen Euro, die, da sie nicht rückzahlbar ist, nur durch immer neue Schuldenaufnahme vor der Implosion bewahrt wird. Das heisst die Blase wird immer grösser und gefährlicher.
Es bedarf daher einer grundlegenden Kurskorrektur bezüglich der «sündhaften Strukturen» (Johannes Paul II.).
Wie könnte (sollte) diese aussehen?
Es bieten sich folgende not-wendenden Auswege an:

I    Politische Grundlage

Die «Finanzindustrie» hat sich seit 1961 (OECD-Kodex zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs) zunehmend der staatlichen Kontrolle und einem Beitrag zum Gemeinwohl entzogen. Vielmehr dominiert sie das politische Geschehen und spielt die Staaten gegeneinander aus – «Standortwettbewerb» genannt.
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat dies auf den Punkt gebracht: Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden. Der Finanzsektor hat somit – statt dienendem – «parasitären Charakter» (Günther Robol) entwickelt. Er muss durch eine weltweite demokratische «Revolution von unten» in die Gemeinwohlpflicht genommen werden – dies in Konfrontation mit der vom Gross­kapital missbrauchten Schutzmacht der grossen Kapitaleigner, den USA und ihrem Juniorpartner in London.
Hierzu muss auch offen aufgezeigt werden, dass die US-FED, wie vorstehend erwähnt, keine Nationalbank nach europäischem Vorbild, sondern ein mit Nationalbankprivilegien ausgestattetes Grossbankenkartell ist, dem die innere Gemeinwohlverpflichtung fehlt.

II    Die konkreten Massnahmen

1    Ein neues Weltwährungsabkommen (Weltwährungsunion), wie 1944 bereits von John M. Keynes vorgeschlagen, gemäss dem eine neue an Kaufkraftparitäten orientierte neue Leitwährung den US-Dollar als Leitwährung ablöst. Überschuss- (z.B. China) und Defizitländer (z.B. die USA) müssten Pönale (Strafzahlungen) leisten, womit ein Anreiz zu ausgeglichenen Zahlungsbilanzen gegeben wäre.
Hand in Hand mit dieser Neuordnung müsste eine «Welteröffnungsbilanz» (Professor Radermacher und Dozent Solte nennen dies «Währungsschnitt») Platz greifen; das heisst ein Neustart bei Streichung der bisherigen Schulden – ähnlich wie im biblischen Vorbild des hebräischen Jovel-Jahres (3. Mos, 16 – 24).
2    Solange dieses umfassende Ziel nicht erreicht ist, bieten sich nachstehende, rasch durchführbare Massnahmen an. Europa wäre mächtig genug, diese auch im Alleingang zu verwirklichen.
    2.1 Transaktionssteuer auf den Handel mit «Verbrieften Sicherheiten» (das sind «asset backed securities»/handelbare Schuldverschreibungen), der jährlich weltweit derzeit rund 3000 Billionen US-Dollar beträgt. Bei einer Steuer von 0,1 % wären dies 3 Billionen US-Dollar oder 3000 Milliarden. Umgelegt nach der Wirtschaftsleistung (BIP) wären dies für Deutschland (6%) 180 Milliarden und für Österreich (0,6%) 18 Milliarden (das heisst etwa das Doppelte des laufenden Zinsendienstes).
    2.2 Eine allgemeine internationale Kapitalumsatzsteuer (erweiterte Tobin Tax) von 0,1% auf ein Transfervolumen von rund 600 Billionen US-Dollar pro Jahr würde für beide Länder zusätzlich 36 bzw. 3,6 Milliarden Euro bringen.
    2.3 Eine Mehrgeldsteuer auf die Herausgabe von «Schattengeld» (dies sind geldwerte Verbriefungen, die derzeit weltweit das rund 50-fache des Nationalbankgeldes ausmachen) von 0,1% könnte die Mil­lenniumsziele der Vereinten Nationen mit 100 Milliarden US-Dollar finanzieren und so die nationalen Budgets entlasten.
    2.4 Eine Internetabgabe von einem Millionstel Cent pro Bit – und zwar nur auf die über 90% Spam (d.h. auf den Informationsmüll) – würde in Deutschland rund 300 Milliarden Euro und in Österreich rund 30 Milliarden Euro hereinspielen (also mehr als ein Drittel des Budgets!).
    2.5 Eine Besteuerung der Finanzgrossvermögen, die rund das Dreifache des Weltbruttoproduktes betragen (150 Billionen US-Dollar) und mit mindestens rund 6% verzinst werden, mit einem für alle Gutverdiener geltenden Steuersatz von rund 50% würde 4,5 Billionen US-Dollar erbringen, oder, wieder umgelegt, 270 bzw. 27 Milliarden US-Dollar.

Neuordnung einfordern

Wir sehen also zu, wie Mitmenschen und ganze Gemeinwesen vor der vollen Schüssel verhungern bzw. wie sich die soziale Schere immer weiter öffnet, weil wir uns nicht getrauen, die «geeigneten Löffel» in die Hand zu nehmen.
Wir sind daher weltweit aufgerufen, die Neuordnung einzufordern. Wenn die Bewegung stark genug ist, wird sie den Widerstand der selbsternannten «Eliten» brechen. Dies war in der Geschichte immer so, wenn der Bogen überspannt wurde.
Die derzeit ergriffenen Massnahmen sind einerseits kontraproduktiv (zu Tode sparen und Bankrisiken sozialisieren) und andererseits unzureichend (Drehen an den alten Steuerschrauben zu Lasten der Masseneinkommen und mit zu geringem Ertrag).
Die vorstehenden Massnahmen müssen – um eine erpresserische Kapitalflucht zu vermeiden (euphemistisch «Standortwettbewerb» genannt – siehe oben) – durch Kapitalverkehrskontrollen flankiert werden. Grössere internationale Kapitalbewegungen müssten wieder meldepflichtig werden. Es sollte die Regel gelten, dass sie automatisch genehmigt sind, wenn die Behörde nicht binnen 24 Stunden widerspricht. Dies würde einerseits die Spekulationen massiv treffen und andererseits der Realökonomie nicht schaden; wenn nämlich ein seriöses Geschäft eine 24-Stunden-Frist nicht verträgt, dann ist es wohl kaum realökonomisch wertvoll.
Um einen fairen internationalen Wettbewerb zu erreichen, sind vor allem in der WTO die Verfahrensstandards (PPMs – processing and production methods) hinterfragbar zu machen.
Ausgleichsabgaben müssen Kostenunterschiede, die auf unterschiedlichen, kostenwirksamen sozialen und ökologischen Standards beruhen, im Interesse eines fairen Wettbewerbs ausgleichen. Ein ausgleichsabgabenfreier Marktzutritt dürfte nur unter Einhaltung der Standards des Bestimmungslandes möglich sein.
Die Ausgleichsabgaben sollten in einen Internationalen Entwicklungsfonds fliessen, der jene Staaten unterstützt, die ihre sozialen und ökologischen Standards erhöhen (Brechen des Wettbewerbs nach unten).
Ohne die Überprüfbarkeit der Verfahrensstandards sind alle noch so wohlgemeinten sozialen und ökologischen Zielsetzungen nicht erreichbar, weil der anonyme Markt jene belohnt, die Mensch und Natur am effizientesten ausbeuten (Kostenvorteil).
 Schliesslich müsste die mit der Schuldenstreichung (z. B. Entwertung der Finanzvermögen 1 : 10 – finanzieller Faktor 10) einhergehende Mitentwertung von Pensionsfonds und anderen kapitalbasierten Lebensvorsorgen abgefangen werden. Dies ist durch die neu erschlossenen Steuereinnahmen möglich (Umlageprinzip bei der sozialen Gesamtsolidarität und Grundversorgung als Teilhabe an der Gesamtwertschöpfung). 
(Zeit-Fragen Nr. 26 vom 27. Juni 2011)  

Bild: vabene.at

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