2012-12-05

Das Modell der allgemeinen Wehrpflicht ist modern und zukunftsweisen



von Dr. Eduard Paulus, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft*
 
Das österreichische Bundesheer hat Tausende Profis. Das einzige, was nicht professionell ist, ist die derzeitige politische Führung dieses Heeres. Bundesminister für Landesverteidigung Mag. Norbert Darabos konnte bis vor kurzem hoffen, als «180°-Wendehals-Minister» in die Geschichte einzugehen. Er hat eine für ihn «in Stein gemeisselte» allgemeine Wehrpflicht verlassen und sich zum Berufsheer bekannt. Nun möchte er als Bundesminister für Landesverteidigung auch dann weitermachen, wenn am 20. Jänner 2013 die Volksbefragung für die allgemeine Wehrpflicht ausgeht. Er würde damit endgültig zum «360°-Wendehals-Minister». Eine derart gefährliche Übung, an der sich sogar ein Uhu das Genick brechen würde, ist für einen österreichischen Minister offensichtlich völlig problemlos.

Wehrpflicht mit Milizsystem

Nun zum sachlichen Gehalt der bevorstehenden Volksbefragung! Die Österreichische Offiziersgesellschaft fordert seit langem eine Reform des österreichischen Bundesheeres auf Basis der verfassungsgesetzlichen Grundlagen – das heisst «allgemeine Wehrpflicht mit Milizsystem» für alle männlichen Staatsbürger mit der Möglichkeit, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten. Zentraler Kern einer Reform ist neben der ausreichenden budgetären Dotierung vor allem die Wiedereinführung von Volltruppenübungen für einen Teil der Grundwehrdiener auch nach dem Präsenzdienst. Vorbilder für funktionierende Armeen mit allgemeiner Wehrpflicht sind in Mitteleuropa Norwegen, Finnland und die Schweiz. In der Bundesrepublik Deutschland und in Schweden ist durch die Abschaffung der Wehrpflicht die Situation leider sehr kritisch geworden. Demokratiepolitisch denkende EU-Bürger sollten es für problematisch halten, wenn wir in näherer Zukunft nur mehr in Russland, Indien, China und der Türkei Staaten mit allgemeiner Wehrpflicht hätten.

Nato-Beitritt ist keine Option für die Bevölkerung

Die Österreichische Offiziersgesellschaft sieht staatspolitische bzw. staatsrechtliche, wehrpolitische und moralische Argumente für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich. Unsere Bundes-Verfassung sieht noch immer die allgemeine Wehrpflicht nach den Grundsätzen eines Milizsystems im Rahmen einer umfassenden Landesverteidigung vor. Eine Verfassungsmehrheit zur Änderung dieser Rechtslage ist nicht in Sicht. Hinzu kommt das Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahre 1955 über die immerwährende Neutralität Österreichs. Dieses Gesetz stellt nicht nur Verfassungsrecht dar, sondern ist durch Notifikation an fast alle Staaten der Welt seit langem ein internationaler völkerrechtlicher Vertrag. Eine Änderung dieser verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Situation ist nicht absehbar. Dies bedingt allerdings die Einhaltung der völkerrechtlichen Pflichten eines Neutralen, nämlich Bündnisfreiheit und eigene ausreichende Verteidigungsanstrengungen. Die Alternative, nach Abschaffung der Neutralität der Nato beizutreten, ist eine Option, die die österreichische Bevölkerung in ihrer grossen Mehrheit ablehnt.
Die verfassungsgesetzlichen Kernaufgaben der Landesverteidigung sind neben der Aufrechterhaltung der territorialen Souveränität nach wie vor die ebenso wichtigen Assistenzaufgaben im Inland, nämlich Grenzsicherung, Schutz kritischer Infrastruktur («Objektschutz») sowie sehr zentral die Hilfe in Katastrophenfällen aussergewöhnlichen Umfanges. Alle diese Einsatzaufgaben, die nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gegeben sind, erfordern im Anlassfall sehr hohe Mannstärken, die mit einem Berufsheer in Österreich nie erreichbar sein werden. Es darf daran erinnert werden, dass die Schweizer Armee im Jahre 2011 mit nahezu 7000 Soldaten eine Sicherung nur des Flughafens Zürich-Kloten geübt hat.

Finanzierungsplan des Ministers nicht für die Realität

Nun zu den wehrpolitischen Argumenten, die für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht sprechen: Seriöse und, wie ich meine, sehr sparsame Berechnungen im Generalstab haben schon vor zwei Jahren ergeben, dass ein Berufsheer in Österreich als Minimum ein Jahresbudget von 2,6 Milliarden Euro verlangt. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass bereits der Vorsitzende der Bundesheerreform-Kommission, Alt-Bürgermeister Dr. Helmut Zilk, 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Heeresbudget gefordert hatte. Das wären damals bereits rund 2,8 Milliarden Euro gewesen. Im Büro von Bundesminister Darabos wurde verlangt, die Zahlen auf das damals bestehende Budgetniveau von 2,2 Milliarden Euro herunterzurechnen. Allerdings stehen zur Zeit nach den von Darabos freudig begrüssten Einsparungen nur mehr rund 1,8 Milliarden Euro Jahresbudget zur Verfügung, davon allein mehr als 1,2 Milliarden Euro Personalkosten. Ein Berufsheer mit diesem Budget passt in maximal drei Stadionsektoren und reicht ausschliesslich für kleinere Auslandeinsätze.

Berufsheer für politisch motivierte «robuste» Auslandeinsätze

Im derzeit laufenden Pilotversuch des Ministers sollen je 115 Pioniermilizsoldaten in zwei Pionierbatallionen, die ihre Übungspflicht noch aus der allgemeinen Wehrpflicht mitgebracht haben, plötzlich zusätzlich 5000 Euro pro Jahr Prämie bekommen, wenn sie jährlich üben statt alle zwei Jahre. Das ist grotesk. Jeder nimmt für dieses Zusatzgeld notfalls Urlaub und hat seine Übungspflicht schneller absolviert als geplant. Dieser ­Pilotversuch kann nichts darüber aussagen, ob sich in Zukunft ohne Wehrpflicht 9500 neue Zeitsoldaten mit ausreichender Qualifikation melden werden. Diese Zeitsoldaten werden auf jeden Fall wesentlich teurer sein als Grundwehrdiener mit einem Taggeld von rund 350 Euro pro Monat. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass in einer Berufsarmee alle Soldaten verpflichtet sein werden, jederzeit in gefährliche Auslandeinsätze zu gehen. Die Berufsplanung dieser jungen Männer, die nach spätestens sechs Jahren und unvorhersehbaren Kampfeinsätzen im Ausland ins Zivilleben entlassen werden, bleibt völlig unklar. Die Bildungsqualität der einfachen Zeitsoldaten sinkt daher in allen Berufsarmeen drastisch ab. Die politische Absicht, in der deutschen Bundeswehr 8,5 Milliarden Euro einzusparen und aus 45 000 Interessenten pro Jahr Tausende Zeitsoldaten auswählen zu können, ist kläglich gescheitert. Derzeit werden in der BRD bis zu 3 Milliarden Euro zusätzlich in die Werbung von Freiwilligen gesteckt. Gleichzeitig gibt es in Deutschland jetzt nur mehr 33 000 Bundesfreiwilligendienstleistende statt vorher 99 000 Zivildiener. In Bayern, mit traditionell guter Arbeitsmarktlage und guten Chancen im Zivilberuf, sind die Nachwuchssorgen der Bundeswehrverbände besonders gross. In Schweden prozessieren 100 Militärärzte gegen ihre weitere Dienstpflicht, weil sie nicht einsehen, warum sie dienen sollen, wenn alle anderen nicht einmal mehr zum Grundwehrdienst eingezogen werden. Es wird auch in Österreich keinesfalls zumutbar sein, dass nach der Einführung einer Berufsarmee die bisherigen Berufs- und Milizsoldaten plötzlich Auslanddienstverpflichtungen haben sollen. Völlig undenkbar ist, dass bisherige Milizsoldaten, die sich während der allgemeinen Wehrpflicht gemeldet haben, weiterhin übungs- und einsatzpflichtig bleiben.

Berufsarmeen mit schlecht ausgebildeten Jugendlichen

Die von Bundesminister Darabos immer wieder als leuchtende Beispiele genannten Berufsarmeen der westlichen Welt haben bei den einfachen Zeitsoldaten grossteils junge Burschen mit schlechtem bis gar keinem Schulabschluss. Ausserdem werden im grossen Umfang einschlägig Vorbestrafte angeworben. Dies stellt nicht nur eine unfaire Ausbeutung sozial benachteiligter Jugendlicher dar, sondern ist auch ein moralisches Armutszeugnis und eine latente Gefahr für die Demokratie. Die jüngste Studie des deutsches Bundeswehrverbandes zeigt, dass 75% der Führungskräfte in der Bundeswehr kein Vertrauen mehr in die ­politische Führung haben und sich grossteils nicht mehr zur Bundeswehr melden würden, wenn sie noch einmal die Wahl hätten. Viele raten bereits ihren Kindern ab, zur Bundeswehr zu gehen. Über diese Entwicklung können offizielle Beschönigungen nicht hinwegtäuschen.
Die Armeen in Belgien, Ungarn und Slowenien sind so gut wie unsichtbar geworden. Mangels ausreichender Mannstärken konnte bei der Schlammkatastrophe in Ungarn kein Heereskontingent mehr aufgeboten werden.

Zurück zu Söldnerheeren – zurück hinter die Aufklärung?

Die Kernaufgaben des Bundesheeres liegen nach wie vor im Inland und erfordern hohe Mannstärken, die ohne allgemeine Wehrpflicht nicht erreichbar sind. Die bisher sehr angesehenen Dienstleistungen österreichischer Soldaten im Ausland werden teilweise zu über 50% von Milizsoldaten erbracht. Derzeit ist das durchschnittliche Bildungsniveau österreichischer Soldaten im Vergleich zu anderen Armeen deutlich höher. In Österreich dienen Akademiker aller Sparten, Handwerker, Gesellen und Meister aller Sparten, die genauso wie kaufmännische Berufe alle ihre zivilen Kenntnisse positiv in die Armee einbringen. Diese soziale Schichtung verändert sich in einer Berufsarmee sofort. Die Vorteile des sozialen Lernens in der allgemeinen Wehrpflicht, die Chance, mit allen Berufsschichten bekanntzuwerden und Netzwerke fürs Leben zu knüpfen, gehen verloren. Wenn der Grundwehrdienst derzeit mit viel zu vielen Einrückungsterminen schlecht organisiert ist, ist dies nicht die Schuld der Grundwehrdiener, sondern einer Politik, die nur auf vordergründige Effekthascherei aus ist.
Moralische Argumente sind nicht in Mode, um so notwendiger erscheint es, die Moral nicht völlig unter den Tisch fallen zu lassen: Seit dem ausgehenden Mittelalter über den 30jährigen Krieg bis hin zur Französischen Revolution waren jahrhundertelang Söldnerheere im Einsatz. Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main hat 1848 unter anderem für die allgemeine Wehrpflicht und gegen ein Berufsheer der Fürsten votiert, und dies zweifellos aus Gründen der Moral und Gerechtigkeit.

«Freiwilligenarmee hat den Rechtsstaat USA beschädigt»

Bob Herbert hat in der «New York Times» vor etwa zwei Jahren geschrieben, dass die USA weder im Irak noch in Afghanistan stünden, hätten sie noch die allgemeine Wehrpflicht, und er hat hinzugefügt, dass das Prinzip der Freiwilligenarmee den Rechtsstaat arg beschädigt hat. Auch der erste Verteidigungsminister von Barack Obama, Robert Gates, hat sich durchaus kritisch über die Entwicklung der Einstellung der Soldaten in der US-Berufsarmee geäussert. Die Herren Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl haben ebenfalls auf die Problematik von Berufsarmeen für die Demokratie hingewiesen. Kriege werden wieder leichter führbar, die Politik entscheidet sich leichter für Kriegs­einsätze, wenn sie nicht auf die Bevölkerung Rücksicht nehmen muss, vor allem, wenn sie keine Freiwilligen für konkrete Einsätze anwerben muss.

Entscheidung für Österreich – Entscheidung für Wehrpflicht!

Nur die allgemeine Wehrpflicht sichert in einem Kleinstaat wie Österreich die Erfüllung sämtlicher Inlandsaufgaben. Das gilt vor allem für den Bereich der sicherheitspolitischen Assistenzleistungen wie Grenzsicherung, Objektschutz, Schutz kritischer Infrastruktur, Sicherungsmassnahmen bei Flächenausfall von Strom, Gas und Wasser usw. Die kostengünstigste Lösung dieser Aufgaben ist es, Soldaten kurz auszubilden und sie im Anlassfall wieder einzuberufen, statt teure Berufssoldaten ständig bereitzuhalten, obwohl voraussichtlich nicht sehr oft Einsatzszenarien auftreten. Mit der Einführung einer Berufsarmee würden 14 000 zum Grossteil höchst motivierte junge Zivildiener verlorengehen. Die soziale Solidarität würde argen Schaden nehmen. Ein Berufsheer ist teuer, politisch problematisch und dient hauptsächlich den Interessen jener Eliten, die robuste Einsätze zur Lösung politischer Probleme im Ausland bevorzugen. Wie sehr die mehr oder weniger verlorenen Kriege in Afghanistan und im Irak dem Westen international vor allem auch moralisch geschadet haben, sollte uns allen bewusst sein. Entscheiden wir uns daher am 20. Jänner 2013 für ein reformiertes Bundesheer mit allgemeiner Wehrpflicht.    •
Quelle: Der Offizier, Nr. 3/2012. Zeitschrift der Österreichischen Offiziersgesellschaft. www.oeog.at/ow10/der-offizier/
*Dr. Eduard Paulus leitet in der Salzburger Landesregierung die Abteilung für Finanz- und Vermögensverwaltung. Er ist Informa­tionsoffizier des Österreichischen Bundesheeres, Gründungsmitglied des Milizverbandes Österreich und Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft. Weiter publiziert er regelmässig zu Verfassungs- und Verwaltungsverfahrensrecht und ist Träger des Grossen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich.

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