2013-01-07

Tageszeitung "Die Presse": "Die EU löst keine Probleme, sie ist ein Problem"...


"Alternativlos" ist ein anderes Wort für "Denkverbote"

DETLEF KLEINERT (Die Presse)

Alles nur Zufall: Je deutlicher das Desaster der Europäischen Union zutage tritt, je klarer sich die Finanzkrise als unlösbar erweist, je augenfälliger sich zeigt, dass aus der EU eine Transfer- und Schuldenunion wird, desto öfter lesen und hören wir, dass es zu EU und Euro keine Alternative gibt. Haben sich die Verklärer dieser trostlosen Lage eigentlich schon einmal überlegt, dass „alternativlos“ ein anderes Wort ist für Denkverbot?
Auch wer Jahrzehnte (wie ich) der Meinung war, unser aller Zukunft liege in Europa – freilich in einem Europa der Vaterländer –, sieht sich nun durch die Entwicklung getäuscht, durch die Vertreter des EU-Establishments geradezu betrogen. Was zunächst nur als Kinderkrankheit beim Aufbau eines Vereinten Europas erschien, erweist sich nun als Dauerzustand: Mangel an Demokratie (EU-Parlamentspräsident Martin Schulz: „Wäre die EU ein Staat und würde einen Antrag zum Beitritt in die Europäische Union stellen, dann würde der Antrag abgelehnt. Mangels demokratischer Substanz.“), fortgesetztes Belügen der Bürger (Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker: „Wenn es ernst wird, muss man lügen!), fortschreitende Entmündigung der Menschen durch sinnlose Bürokratie (von der „gekrümmten Gurke“ – inzwischen abgeschafft – bis hin zum Glühbirnenskandal, dem nun der nächste zum Wassersparen folgen soll). Von Subsidiarität haben die Brüsseler Bürokraten noch nie etwas gehört.
Und das führt zu einer Verschwendungssucht, die der englische Premier mit dem Hinweis kritisiert, Brüsseler Spitzenbeamte verdienen mehr als er selbst. Hinzu kommt, dass die EU-Subventionspolitik ein undurchschaubarer Dschungel ist. Ein Beispiel: Während französische EU-Funktionäre mit Argusaugen darüber wachen, dass in Deutschland keine Firma staatliche Unterstützung erhält, werden französische Unternehmen (siehe Citroën) gestützt, subventioniert und (vorläufig) gerettet.
Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen das Krakensystem EU durchschauen – und gleichzeitig das EU-Politbüro immer heftiger gegen die Menschen agitiert. Populismus ist da noch die harmloseste Formel, mit der EU-Skeptiker diffamiert werden. Die Vertreter der „Vereinigten Staaten von Europa“ versprechen immer neue Reformen, und sie versagen mit jedem Gipfeltreffen, das als Lösung aller Probleme gefeiert wird und in Wirklichkeit nicht mehr als Wortgeklingel hinterlässt. Sie sind eigentlich nur Ideologen, die Jean-François Revel so beschrieben hat: „Die Ideologie wünscht nicht, die Wahrheit zu kennen, sondern sie will ihr Glaubensgebäude schützen und all jene ruinieren, die nicht denselben Glauben haben wie sie. Die Ideologie beruht auf einer Einstimmigkeit in der Lüge.“

Abhängigkeit von Transfers

Sehen wir uns die Probleme im Einzelnen an. Da ist zunächst die Finanzkrise, über die wir seit vier Jahren(!) hören, dass sie eigentlich schon bewältigt ist. Das frivole Rettungstheater beschert Griechenland, Spanien, Italien und Portugal, aber auch Frankreich und weiteren Staaten immer mehr Abhängigkeit von Transferzahlungen, ohne dass der einzelne Bürger etwas davon hat – im Gegenteil, wir erleben eine Verarmung ganzer Bevölkerungen. Damit verbunden: Das „Friedensprojekt Europa“, im Oktober mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Nun weiß eigentlich jedermann, dass der Friedensnobelpreis in Wahrheit eine Kabarettveranstaltung ist, seit Obama ihn für nichts und wieder nichts erhalten hat (wir erinnern uns an den Preis für so ausgemachte Friedenskämpfer wie Le Duc Tho und Arafat).
Aber gut, Frieden wünschen wir uns alle. Nur hat die Einheitswährung dazu geführt, dass in einer Reihe von Staaten viele Menschen, von der EU ins soziale Abseits gedrängt, mit gewalttätigen Demonstrationen gegen das System aufstehen, mit Brandbomben, Steinen, Knüppeln. Die Polizei hält dagegen mit Tränengas und Schlagstöcken. Wenn das so weitergeht, werden Tränengas und Schlagstöcke zum Symbol des Friedensprojektes Europa. Professor Michael Hudson, der Chefberater der lettischen Regierung in Wirtschaftsfragen, hat als erster Europäer offiziell von einem sich abzeichnenden „Krieg um Schulden in Europa“ gesprochen, wenn es bei einem Zusammenbruch der Eurozone zu einer schlagartigen Verarmung der nationalen Bevölkerungen kommt. Und der deutsche Bundesnachrichtendienst hat in einer vertraulichen Studie ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Weltwirtschaftskrise auch das Potenzial zu einem Krieg beinhaltet.
Die trostlose Lage wird repräsentiert durch eine Führung, über die keine Glossen zu schreiben, schwerfällt. Barroso, Van Rompuy, Ashton – wer die Auswahlkriterien kennt, kann sich nicht wundern: Sie (und andere) sind das Resultat fauler Kompromisse auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Dass diese Figuren (das Wort Persönlichkeiten ist zu vermeiden) von einem Fettnäpfen ins nächste treten, wen wunderts? Ein Beispiel: Da möchte Ratspräsident Van Rompuy die Kompetenzen der nationalen Parlamente deutlich beschneiden, weil diese vielfach „nicht im Interesse der EU“ handeln und entscheiden würden. Dass dies mit Demokratie wenig, mit autoritärer Machtfülle jedoch viel zu tun hat, stört den Herrn Präsident nicht. Henryk M. Broder meint zurecht: Die EU sei „der massivste Versuch, die Bürger zu entmündigen und die Gesellschaft zu entdemokratisieren“.
Aber der Weg in den Kollektivismus (von kindlichen Gemütern als Vereinigte Staaten von Europa bezeichnet) ist angesichts des Scheiterns der EU nun wohl der einzige Ausweg, der den Brüsseler Bürokraten und ihren Claqueuren in den Medien noch bleibt. Dass Europas Völker eine andere Geschichte haben als die USA, dass da unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Mentalitäten, unterschiedliche Identitäten nicht entsorgt werden dürfen, sollte unstrittig sein. Nochmals Broder: „Die EU löst keine Probleme, sie ist ein Problem.“ Wo er recht hat, hat er recht.

Detlef Kleinert war unter anderem Südosteuropa-Korrespondent der ARD in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2013)

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